Abstimmung über die neue Kirchenverfassung

Das bisherige Kirchenorganisationsgesetz (KOG) von 1968 wird durch eine Verfassung, ein Landeskirchengesetz und ein Kirchgemeindegesetz ersetzt. Darüber werden am 13. Juni die katholischen Kirchbürger*innen im Kanton Thurgau an der Urne abstimmen. Im Interview erklärt Urs Brosi, Generalsekretär der Katholischen Landeskirche Thurgau, die wichtigsten Neuerungen. 

Warum war die Revision des bestehenden KOG-Gesetzes nötig?

Die Mehrzahl der Schweizer Landeskirchen hat in den letzten Jahren eine eigene Rekurskommission geschaffen, also eine erste Stufe der Gerichtsbarkeit mit Entscheidungsbefugnis. Das wollten wir auch für unsere Landeskirche. Wir stehen in der Pflicht, die Aufteilung der drei Staatsgewalten (Legislative, Exekutive und Judikative) zu verbessern. Zudem haben wir uns die Einführung eines automatischen Stimmrechts für Ausländer*innen in der Landeskirche und den Kirchgemeinden gewünscht. Angesichts der Tatsache, dass ein Drittel unserer Mitglieder entweder direkt migriert ist oder einen Migrationshintergrund hat, möchten wir sie auch staatskirchenrechtlich in die Entscheidungsfunktionen einbeziehen. Ein dritter Auslöser war die wachsende Bedeutsamkeit der Zusammenarbeit von Kirchgemeinden im Blick auf die neuen Pastoralräume. Neu erhalten deshalb Kirchgemeindeverbände eine eigene Rechtsgrundlage. Bisher wurden sie analog zu kommunalen Zweckverbänden organisiert. Der Kirchgemeindeverband schafft aber eine bessere demokratische Grundregelung. 

Was sind die wichtigsten Änderungen in der Verfassung?

Auffällig ist natürlich, dass wir ein Kirchenorganisationsgesetz durch eine Verfassung und zwei Gesetze ersetzen. Diese Stufung ermöglicht uns, in Zukunft beide Gesetze mittels Synodenbeschluss zu ändern, was den Prozess vereinfacht. Bisher musste dieser eine Volksabstimmung und nachfolgend eine Genehmigung durch den Grossen Rat des Kantons durchlaufen. Durch die Änderung wollen wir flexibler werden für die kirchlichen Veränderungen der Zukunft. Neu gibt es dafür das fakultative Referendum, das gegen alle Synodenbeschlüsse ergriffen werden kann. Eingeführt wird auch ein Initiativrecht, um Anliegen zur Entscheidung zu bringen. Daneben gibt es eine Vielzahl kleinerer Änderungen, die sich an das staatliche Recht anpassen.

Die Verfassung sieht für die Synode künftig Wahlkreisversammlungen vor, was bedeutet das und was soll damit bewirkt werden?

Wir haben innerhalb der Synode keine Fraktionen. Ein Parlament agiert aber nicht sehr aktiv, wenn keine Vorbereitungsarbeit besteht, denn der entscheidende Prozess spielt sich ausserhalb des Sitzungssaales ab. Auf der Ebene der Wahlkreise soll deshalb ein Ort geschaffen werden, an dem sich die Synodal*innen in einem kleineren Kreis über die Geschäfte miteinander beraten und austauschen können. Die Versammlungen der Synodal*innen in den Wahlkreisen haben den Zweck, die Synode aktiver zu gestalten. Damit der Prozess besser koordiniert werden kann, wird das Synodenbüro künftig aus den Vorsitzenden der fünf Wahlkreise bestehen. 

Am 13. Juni wird über die neue Verfassung abgestimmt. Wird es Widerstände geben?

Bei einem Teil der Kirchgemeinden ist die Abschaffung des Amts für Kirchenpfleger*innen umstritten. Künftig soll ein Behördenmitglied nicht mehr selbst angestellt sein, um die ganze Verwaltungsarbeit zu machen, da vor allem für grössere Kirchgemeinden nach Fusionen der Verwaltungsaufwand stark ansteigt. Ebenfalls umstritten ist der Kirchgemeindeverband. Wie dieser künftig funktionieren soll, ist im Kirchgemeindegesetz geregelt. Das dort vorgesehene Prozedere wird von einzelnen Kirchgemeinden als zu aufwendig empfunden.

Wie zufrieden sind Sie mit den neuen Rechtsgrundlagen?

Insgesamt bin ich froh, wenn wir den grossen Revisionsprozess zu einem Ende bringen können. Er entspricht zwar nicht in allen Teilen meinen Vorstellungen. Insbesondere im Bereich der Pastoralräume regelt er nun weniger, als ursprünglich angedacht. Doch gesamthaft gesehen ist damit ein wichtiger Reformschritt getan, der nun umgesetzt werden kann.

Was hat Sie während des ganzen Revisionsprozesses am meisten positiv überrascht?

Dass der Prozess mit der Zeit für viele Beteiligte an Bedeutung gewonnen hat. Sie haben gemerkt, dass diese Rechtsvorschriften einige Dinge enthalten, die ihren Alltag unmittelbar betreffen, was ein grosses Interesse und eine starke Auseinandersetzung damit nach sich zog. Als positiv empfand ich auch, dass nach der Vorbereitung durch die Kommission, in der Synode sehr kompakt und in nur zwei ausserordentlichen Sitzungen über die Rechtsgrundlagen diskutiert werden konnte. Angesichts der Komplexität der Materie ist das ein sehr gutes Ergebnis. 

Wie lange hält die neue Kirchenverfassung?

Die letzten drei haben jeweils 50 Jahre gehalten. Grundsätzlich würde ich mir einen solchen Lebenshorizont wünschen. Schon allein deshalb, weil der Prozess einer Totalrevision eine solch aufwendige Angelegenheit ist. Andererseits stehen wir aber auch vor erheblichen Veränderungen der kirchlichen Situation, einer zunehmenden Säkularisierung, auch beeinflusst durch ein wachsendes Bedürfnis nach Individualisierung. Diese Veränderungen stellen infrage, ob wir mit der jetzigen Rechtsgrundlage die nächsten fünfzig Jahre bestreiten werden. Ich gehe aber von einem Minimum von 20 Jahren aus, sonst hätten wir nicht gut gearbeitet. 

Interview: Sarah Stutte, forumKirche, 5.5.21
 

Urs Brosi, Generalsekretär der katholischen Landeskirche Thurgau.
Quelle: zVg
Urs Brosi, Generalsekretär der katholischen Landeskirche Thurgau.